Vor drei Wochen durfte ich in Biel an einem 1-tägigen Design Thinking Workshop teilnehmen. Wie das genau abgelaufen und was Design Thinking überhaupt ist, erfahrt ihr in diesem Post.
Der Begriff «Design Thinking» ist mir schon ein paar mal begegnet. Mich wirklich konkret damit beschäftigt, habe ich mich bis vor kurzem aber noch nicht wirklich. Ich wusste grob worum es geht, mehr aber auch nicht. Das sollte sich mit dem Workshop bei Creaholic ändern.
Worum geht's da überhaupt?
Design Thinking ist einfach ausgedrückt ein Ansatz, der beim Lösen von Problemen und Generieren von neuen Ideen helfen soll. Er ist nicht unbedingt neu und wurde auch schon angewendet, bevor er einen Namen hatte. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das lösungsorientierte Verhalten während der beinahe gescheiterten Apollo 13 Mission.
Design Thinking ist weder Methode noch Framework, sondern eher eine Art «Mindset».
«Iteration»: Diesen Begriff hört man in Bezug auf Design Thinking besonders oft. Es handelt sich nämlich um einen iterativen Prozess, das bedeutet, man durchläuft die selben Phasen immer und immer wieder, wobei mit jeder Iteration eine verbesserte Version des Produktes entsteht (im Gegensatz zu einem linearen Prozess). Das wird grafisch meist so dargestellt:
Es gibt also fünf verschiedene Phasen (Implement ausgenommen, da wir nicht damit gearbeitet haben).
- Empathize (Verstehen)
Die Bedürfnisse des Users verstehen - Define (Definieren)
Das zu lösende Problem definieren, mit dem Nutzer im Hinterkopf (👉 Human Centered Design) - Ideate (Ideation)
Mögliche Lösungsansätze entwickeln - Prototype (Bauen)
Die entwickelten Lösungsansätze mit einem Prototypen greifbar machen - Test (Testen)
Jetzt kann der Prototyp mit Vertretern der Zielgruppe getestet werden
Gewonnene Erkenntnisse aus Schritt 5 können anschliessend für eine weitere Iteration genutzt werden.
Die einzelnen Phasen werden im Verlauf dieses Artikels noch genauer beschrieben. Folgendes Video des Kanals AJ&smart (hat übrigens einige gute Videos zu Themen aus dem UX-Bereich) geht zusätzlich im Detail auf die Besonderheiten von Design Thinking, und wie man es am besten einsetzt ein 👇
Der Tag bei Creaholic
Nach unserer Ankunft in der «Invention Ramp» im Zentrum von Biel wurden wir von den zwei Moderatorinnen des Workshops begrüsst und hatten erst einmal Zeit anzukommen. Anschliessend haben wir uns in einer Art «Plenum» zusammengesetzt, wo der eigentliche Workshop begann. Zu Beginn besprachen wir kurz die Agenda. Zusätzlich wurden uns einige Regeln vorgestellt, die wir während dem gesamten Workshop beachten sollten. Meine Favoriten daraus waren:
- «dare to be wild»
- «and not but»
- «build on ideas»
Als letzten einführenden Programmpunkt wurde uns die Design Challenge gezeigt. Sie legte fest, welche Aufgabe wir an diesem Tag zu lösen hatten. Damit war der Rahmen abgesteckt, in welchem wir uns bewegen durften und wir konnten mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Dafür mussten wir zuerst...
Den User verstehen
Zu Beginn dieser Phase stellten Enrica und Nicole der gesamten Gruppe die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Projekt «Personas» vor. So erfuhren wir beispielsweise, dass es in unserem Fall im wesentlichen sieben Segmente gibt, in welche sich unsere Kunden einteilen lassen. Daraus erstellten wir ad-hoc eine Persona, die uns den ganzen Tag über begleiten sollte. Sie hiess Fränzi, war 19 Jahre alt und studierte Biologie an der Uni Bern. Zusätzlich definierten wir noch weitere Eigenschaften, damit sich jeder die Person vorstellen konnte.
Personas helfen, eine Zielgruppe greifbar zu machen.
Für mich persönlich war dies ein vergleichsweise kleiner Teil im Prozess, der mir am Ende aber recht viel half. Während des gesamten Tages hatte ich einen Anhaltspunkt, an dem ich mich orientieren konnte.
Da wir an dieser Stelle das Problem (Design Challenge) bereits definiert hatten, konnten wir direkt in Phase 3 des Design Thinking Prozesses übergehen...
Ideen generieren
Nun begann der kreative Teil des Tages. Nach einem kurzen Spiel zur Auflockerung (Assoziationen zum Wort des Nachbarn nennen), starteten wir mit einem Brainstorming. Jeder für sich hatte einige Minuten Zeit, so viele Ideen wie möglich auf Post-its zu notieren. Die Frage die wir uns dabei stellen sollten: «Wie könnten wir die Design Challenge für Fränzi lösen?». Währenddessen gaben uns die beiden Facilitators immer wieder Inputs, Denkanstösse oder Beispiele ähnlicher Probleme und Lösungen. Am Ende der Session hatte ich zwischen 10-15 verschiedener Ideen aufgeschrieben, welche nun weiterverwendet werden konnten. In einer 5er-Gruppe begannen wir anschliessend unsere Ideen zu sortieren und kleinere Cluster zu bilden. Jedes Gruppenmitglied hatte dann zwei Stimmen, die es auf diese Cluster verteilen konnte. So kristallisierte sich langsam heraus, welche drei Ideen wir weiterverfolgen wollten.
Nun teilten wir unsere Gruppe in 3 Untergruppen auf, jede davon sollte eine der Ideen ausarbeiten. Dafür verwendeten wir die «NABC»-Methode. Das Akronym steht für
- N - Need (Bedürfnis)
- A - Approach (Ansatz)
- B - Benefit (Vorteil)
- C - Competition (Wettkampf; Herausforderung)
und wird häufig zum Pitchen einer Idee verwendet. Also füllten wir folgendes Template für jede unserer Ideen aus.
Danach wurden alle weiterverfolgten Ideen wieder im Plenum vorgestellt. Hier hatten wir strikte Zeitvorgaben, was bedeutete, dass man schnell auf den Punkt kommen musste. Nach jeder Präsentation wurde die Idee in drei Kategorien bewertet:
- Ideenpotenzial – Mückenstich oder Haiangriff?
- Machbarkeit – Schraube anziehen oder Rakete bauen?
- Kosten – günstig oder teuer?
Auch hier wurden wieder ziemlich schnell klar, welche Ideen weiter vertieft werden sollten. Und dann kam...
Der Prototyp
Jeder von uns durfte sich anschliessend jener Idee anschliessen, die er persönlich am besten fand. So bildeten sich erneut kleinere Gruppen, die jetzt zum jeweiligen Vorhaben einen Prototypen ausarbeiten sollten. Das Format stand uns dabei offen. Wir arbeiteten zuerst mit einem einfachen Screenflow, den haben wir im Laufe des Prozesses aber grösstenteils wieder verworfen.
Dieser Schritt im Prozess war für mich fast am schwierigsten. Gleichzeitig entstanden hier aber auch die spannendsten Diskussionen. Wir mussten die Idee jetzt konkret verfeinern und sie auch verständlich auf Papier bringen. Und das in äusserst kurzer Zeit. Am Ende haben wir uns für eine Art skizzierter «User Journey» entschieden, anhand welcher wir die Idee visualisieren und erklären wollten.
Während dieser Phase durften wir noch einmal das Feedback der anderen Gruppen einholen und dieses in eine zweite Iteration des Prototypen einfliessen lassen. Dann startete auch schon...
Das User-Interview
Bevor die Testrunde überhaupt durchgeführt werden konnte, mussten wir uns natürlich noch etwas vorbereiten. Dabei gingen wir wie folgt vor:
Als erstes haben wir alle kritischen Annahmen aufgeschrieben, die für unsere Idee relevant waren. Heisst, wir haben Hypothesen aufgestellt, ohne die unser Vorhaben nicht funktionieren würde. Am Ende mussten wir die Annahmen auf die zwei wichtigsten reduzieren, die wir in dieser kurzen Testphase überprüfen wollten.
Kritische Hypothesen sollten wann immer möglich mit potenziellen Usern überprüft werden.
Aus den Hypothesen leitete sich dann unser Frageleitfaden für das Interview ab. Zu jeder Annahme notierten wir dazu konkrete Fragen, die wir den Probanden stellen konnten. Hier begannen wir ausserdem den Ablauf der Testrunde zu planen. Wir haben uns dafür entschieden, zuerst die erste Hypothese zu validieren, ehe wir den Testpersonen unseren Prototyp (bzw. unsere Idee) vorstellten. Erst danach wollten wir die zweite Annahme überprüfen, da diese schon etwas konkreter war.
Anschliessend stiessen drei, dem Projekt völlig fremde, Creaholic-Mitarbeiter zu unserer Runde, die als Testpersonen für unsere Prototypen fungieren sollten. Mit jeder Person hatten wir rund 5 Minuten Zeit, das Interview durchzuführen. Das ist uns meiner Meinung nach auch ziemlich gut gelungen, denn wir konnten unsere Hypothesen grösstenteils validieren. Die Befragung an sich ist so abgelaufen, dass vor allem eine Person die Fragen stellte, während die anderen drei sich Notizen machten und bei Bedarf zusätzliche Fragen einbrachten. Generell war hier aber das Ziel, dass die Testperson möglichst viel sprechen sollte (rund 80% der Zeit), damit wir das Optimum aus diesem Prozessschritt herausholen konnten.
Zum Schluss dieser Phase haben wir jedes Interview anhand folgender vier Fragen / Kriterien bewertet:
- Was hat funktioniert?
- Was könnte verbessert werden?
- Offene Fragen
- Ideen
Was kommt als nächstes?
Mit dem Abschluss der Testphase kam dann der Tag bei Creaholic auch schon langsam zu einem Ende. Innerhalb von knapp 8 Stunden hatten wir den gesamten Design Thinking Prozess einmal durchlaufen, was ich schon ziemlich beeindruckend fand. Für mich persönlich war es ein äusserst lehrreicher Workshop, aus dem ich sicherlich vieles mitnehmen kann, sei es für den Beruf, für die Schule oder aber auch fürs Private.
In der Gruppe waren wir uns jedoch einig, dass ein einziger solcher Tag (zumindest für unser Vorhaben) zeitlich noch nicht wirklich ausreicht. Dennoch hat uns diese erste Iteration wertvolle Erkenntnisse gebracht, die wir für eine eventuelle zweite Runde gut gebrauchen können. Als konkrete nächste Schritte werden voraussichtlich zwei der drei Ideen noch einmal verfeinert und mit der korrekten Zielgruppe getestet, damit wir von da auch noch einige Feedbacks bekommen können. Den Rückmeldungen sind, das habe ich an diesem Tag am eigenen Leib erfahren, extrem wichtig für ein gut designtes, auf den Kunden angepasstes Produkt.
Wichtigste Erkenntnisse 💡
Als Abschluss noch einige wichtige Erkenntnisse aus dem Workshop:
- Eine klar formulierte Challenge setzt den Rahmen für den späteren Prozess.
- In der Ideation-Phase wirklich alles, was einem in den Sinn kommt, aufschreiben, sei die Idee noch so bescheuert.
- Wenn das Zeitfenster beschränkt ist, sich nur auf die wichtigsten Features / Hypothesen / Fragen konzentrieren.
- Dinge visualisieren (siehe z.B. Bewertung der Ideen).
- Früh mit der richtigen Zielgruppe zu testen hilft enorm.
- Prototypen müssen nicht perfekt sein, sie müssen lediglich die Idee vermitteln können.
Für einen Prototypen muss man sich beinahe schämen. Genau dann ist der richtige Zeitpunkt, um ihn zu testen.
- Alles kann ein Prototyp sein: Ein Screenflow, ein Storyboard, ein Rollenspiel, ... you name it.
- Bei den User-Interviews nach einer Antwort versuchen, noch mehr über die (Hinter-)Gründe zu erfahren (siehe Five Whys-Methode).
- Timeboxing ist ein extrem hilfreiches Instrument um einen guten Workshop durchzuführen.
- Der Raum / die Atmosphäre trägt sehr viel zu einem gelungenen Design Thinking Workshop bei.
- Kurze «Auflockerungsübungen» helfen, die Teilnehmer auf den Workshop einzustimmen.
- Hinter einem Workshop steckt viel mehr Vorbereitung, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Vieles bemerkt man gar nicht oder geschieht sogar spontan.